Rumänien kämpft mit einer Hundeplage, Behörden lassen Tiere einfangen und töten, wenn sich kein Besitzer findet. Die deutsche Tierärztin Nina Schöllhorn lehnt den Radikalplan ab. In Dörfern und Städten des Landes kastrierte sie bereits Tausende Tiere. Im Interview wirbt sie für ihre Methode.
Vergiftet, stranguliert oder sogar angezündet: Seit der umstrittenen tödlichen Attacke von Straßenhunden auf einen Vierjährigen in Bukarest sind in Rumänien öffentliche, aber auch private Strafaktionen gegen Streuner im Gange. Per Gesetz vom 10. September dürfen sie getötet werden, wenn sich nach 14-tägigem Aufenthalt in einem der längst überfüllten Tierheime niemand findet, der sie aufnimmt.
SPIEGEL ONLINE: Frau Schöllhorn, inmitten der Jagd auf die Hunde in Rumänien kastrieren Sie die Tiere - macht das Sinn?
Schöllhorn: In der jetzigen schwierigen Situation ist es besonders wichtig, präsent zu sein und den richtigen Weg aufzuzeigen. Durch Massentötungen wird sich das Problem nie in den Griff bekommen lassen, das haben die vergangenen Jahrzehnte mehr als deutlich gezeigt. Für jeden eingefangenen Hund rückt in Kürze ein neuer nach, wenn nicht endlich der Ursprung des Problems erkannt wird: Die vielen unkastrierten Hunde von privaten Besitzern produzieren einen endlosen Nachschub an ungewollten Hunden, die Welpen werden zum Großteil ausgesetzt.
SPIEGEL ONLINE: Der Versuch, das Problem durch Kastration zu lösen, droht aber ebenfalls zu scheitern.
Schöllhorn: Wir haben keine andere Wahl. Das massenhafte Töten von Hunden ist nicht nur wirkungslos, es verletzt auch EU-Vereinbarungen. Erschreckend und sehr enttäuschend ist, dass hier nicht von Seiten der EU interveniert wird.
SPIEGEL ONLINE: Was konnten Sie schon ausrichten?
Schöllhorn: In den letzten Wochen habe ich über 600 Hunde und auch Katzen kastriert, in den vergangenen viereinhalb Jahren viele Tausende. Es geht langsam voran, aber es wird langfristig Wirkung zeigen. Mit meinen Kollegen operiere ich Straßenhunde, die von den städtischen Hundefängern gebracht werden ebenso wie Tiere, die einen Besitzer haben oder auch Hunde, die sich in den überfüllten Tierheimen befinden.
SPIEGEL ONLINE: Solche Maßnahmen gab es schon in der Vergangenheit, sie blieben allerdings wirkungslos. Warum gehen Sie diesmal von einem Erfolg aus?
Schöllhorn: Die bisherigen Aktionen waren ein kleiner Anfang und reichten sicherlich noch nicht aus. Um eine Hundepopulation in ihrer Größe wirklich beeinflussen zu können, muss in kurzer Zeit ein Großteil der Hündinnen kastriert werden. In Dörfern zeigen sich nach ein, zwei Aktionen bereits erste Erfolge: Es finden sich kaum noch neue Welpen. Die vorhandenen Hunde sind gesünder, die Population beginnt kleiner zu werden. Das sehen wir zum Beispiel in dem Bergbaustädtchen Balan oder im Kurort Tusnad, wo wir Unterstützung von den Bürgermeistern erhalten. In großen Städten sind groß angelegte Aktionen nötig.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie denn überhaupt auf Rückendeckung seitens der Politik hoffen?
Schöllhorn: Die Politik hat leider bisher versagt, das Thema Straßenhunde wurde auf die Tierschutzvereine abgewälzt. Unterstützung von öffentlicher Seite bekamen diese in den seltensten Fällen. Im Gegenteil, häufig wurden ihnen bei ihrer Arbeit sogar Steine in den Weg gelegt. Traian Basescu hat, als ehemaliger Bürgermeister von Bukarest, Kastrationsprojekte abgelehnt. Jetzt hat er, als Staatspräsident, die Massentötungen mit auf den Weg gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Eigentlich will also niemand, dass Sie ihre Arbeit tun?
Schöllhorn: Auch in Rumänien gibt es viele Menschen, denen viel an ihren Tieren liegt und die dankbar für unsere Hilfe sind. Andere sind leider völlig desinteressiert oder auch fehlinformiert. Oft ist der Umgang mit Tieren immer noch sehr roh und gefühllos. Wir können aber nicht erwarten, dass sich ein Land, das mit seiner Entwicklung so viele Jahre hinterherhinkt, von heute auf morgen ändert. Da braucht es viel Aufklärung, die Nachfrage nach Kastrationen steigt langsam an.
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sie konkret vor?
Schöllhorn: Wir operieren im Schnitt zwölf Stunden am Tag. Die Hunde werden nicht nur kastriert, sondern auch entwurmt und gegen Zecken und Flöhe behandelt. Sie werden tätowiert und durch eine Ohrmarke als kastriert gekennzeichnet. Jedes Tier wird untersucht und, wenn es gesundheitliche Probleme hat, von mir und meiner Assistentin behandelt. So sind auch Tumoroperationen, Wundversorgungen, Zahnbehandlungen oder Amputationen an der Tagesordnung.
SPIEGEL ONLINE: Wie lang wollen Sie so weitermachen?
Schöllhorn: Diese Frage stellt sich für mich nicht. In Gedanken plane ich schon den nächsten Einsatz. Die Straßentiere Süd- und Osteuropas waren der Grund für mich, Tierärztin zu werden. Ich will ihnen helfen, seit ich denken kann. Jetzt habe ich die Möglichkeit dazu.
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