Haben Hunde ein Zeitgefühl? Ja - sie benutzen ihre Nase als UhrDas „The Word Science Festival“, beschäftigt sich jedes Jahr mit einer von Kindern ausgewählten Frage. Dieses Jahr wurde die Frage „Was ist Zeit?“ von unterschiedlichen Referenten beantwortet und Alexandra Horowitz hat einen 10-Minuten-Vortrag über die Frage „Haben Hunde ein Zeitgefühl?“ gehalten. (Video des Vortrags siehe unten)
Alexandra Horowitz erzählt, dass das Zeiterleben von Tieren, durch den Circadianen Rhythmus - „biologische Uhr“ - gesteuert wird. Auch Menschen haben diese innere Uhr. Sie sorgt dafür, dass wir morgens wach werden, mittags Essen oder abends Schlafen gehen. Bei Tieren funktioniert diese natürliche innere Uhr besser, als bei Menschen, denn sie brauchen weder Uhren noch Kalender. Vögel verlassen sich allein auf ihr Gefühl und das wechselnde Tageslicht, um zu wissen, dass der Frühling und damit die Zeit gekommen ist, sich einen Partner zu suchen. Eichhörnchen wissen, wann Herbst ist und sie Vorräte für den Winter sammeln müssen. Zikaden kommen nicht nach 16 oder 18, sondern nach genau 17 Jahren an die Erdoberfläche.
Kognitive Biologen oder Psychologen wie Alexandra Horowitz interessieren sich dafür, wie Tiere Zeit erleben. Denken Tiere über ihre Vergangenheit nach und planen sie die Zukunft – machen sie also „mentale Zeitreisen“? Um dies herauszufinden, untersuchen Psychologen das „episodische Gedächtnis“. Das episodische Gedächtnis ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem persönliche Erlebnisse – z.B. der erste Schultag, der letzte Geburtstag - gespeichert werden. Das episodische Gedächtnis speichert auch unwichtigere Ereignisse, z.B. wie lange man sich schon in einem Raum befindet. Ein Beispiel, wie das episodische Gedächtnis bei menschlichen Kindern getestet wird: Kinder erhalten zwei Belohnungen, ein Eis (die bevorzugte Belohnung) oder einen Keks (auch lecker, aber nicht so beliebt wie Eis). Sie dürfen eine der beiden Belohnungen essen, aber erst, wenn sie ihre Schulaufgaben erledigt haben. Jedes Kind wird, wenn das Erledigen der Aufgaben eine halbe Stunde dauert, den Keks wählen, weil es weiß, dass das Eis längst geschmolzen ist. Mit einem ähnlichen Versuch testen Wissenschaftler, ob Tiere Zeitgefühl haben.
Sie haben das beispielsweise mit Buschhähern getan. In der Natur verstecken diese Vögel Nahrung, um sie später zu fressen. Im Labor gaben die Forscher ihnen unterschiedlich beliebtes Futter, das sie im Käfig verstecken konnten: (1) Wachswürmer (Wachsmottenlarven), die Lieblingsspeise der Vögel, die aber schon nach einem Tag ungenießbar sind und (2) Erdnüsse, die nicht ganz so beliebt sind, dafür aber lange halten. Dann haben die Forscher die Tiere aus dem Käfig geholt und erst nach einer bestimmten Zeitspanne wieder in den Käfig zurück gelassen. Und jetzt kommt das Erstaunliche: Nur wenn die Tiere innerhalb eines Tages zurück durften, suchten sie nach den Würmern, später nur noch nach den Erdnüssen. Sie wussten also, dass es sinnlos war, die Wachswürmer zu suchen, weil die längst ungenießbar waren.
Dieses Experiment haben die Wissenschaftler auch mit Menschenaffen - Schimpansen, Oran-Utas und Bonobos gemacht. Sie haben Eis (gefrorenen Fruchtsaft) versteckt, das diese Tiere lieben und Weintrauben, die sie mögen, aber nicht so sehr wie Eis. Wenn die Forscher die Tiere nach fünf Minuten zurück in den Käfig ließen, suchten sie das Eis. Durften sie erst nach einer Stunde zurück, suchten sie nicht mehr das Eis, sondern nur noch die Weintrauben. Für Alexandra Horowitz ist damit offensichtlich, dass diese Tiere ein Zeitgefühl haben. Als Hundebesitzerin möchte sie natürlich wissen, wie ihr Hund ihre Abwesenheit erlebt: Macht es für ihn einen Unterschied, ob sie fünf Minuten oder drei Stunden weg ist?
Das Zeitgefühl von Hunden wurde von Therese Rehn und Linda Keeling untersucht, die Ergebnisse im Journal Applied Animal Behaviour Science publiziert. 12 Familienhunde verschiedener Rassen von 1 bis 12 Jahren (Durchschnittsalter 4,3 Jahre), 6 Rüden, 6 Hündinnen, durch persönlichen Kontakt rekrutiert, mit überwiegend weiblichen Besitzern. Die Hunde wurden im eigenen Zuhause in drei unterschiedlich langen Trennungssituationen gefilmt. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Hunde keine Symptome von Trennungsangst zeigten und gewohnt waren mindestens 4 Stunden alleine zu bleiben.
Die Besitzer verließen die Wohnung und blieben unterschiedlich lange weg (eine halbe Stunde, zwei oder vier Stunden). Mit Videokameras wurden die Hunde beim Alleinsein und bei der Rückkehr der Besitzer gefilmt und verglichen, ob sich das Begrüßungsverhalten der Hunde mit der Länge der Abwesenheit des Besitzers veränderte. Besonders drei Verhaltensweisen waren dabei im Fokus: Lippenlecken, Schütteln und Schwanzwedeln.
Obwohl die Videoaufzeichnungen zeigten, dass die Hunde 90 – 95 % der Zeit in der sie alleine waren, ruhten, unterschied sich ihr Begrüßungsverhalten nach längerer Trennung. Da sich das Begrüßungsverhalten der Besitzer nicht unterschied, muss dies auf die Zeitdauer der Trennung zurückgeführt werden. Tatsächlich gab es signifikante Unterschiede zwischen dem kurzen Zeitraum (halbe Stunde) und den beiden langen Zeiträumen (zwei und vier Stunden), aber nicht zwischen der zwei- und der vierstündigen Abwesenheit. Die Begrüßung fiel bei der längeren Abwesenheit enthusiastischer aus: Die Hunde waren aktiver, aufmerksamer, suchten mehr Körperkontakt und zeigten eine höhere Frequenz aller drei Verhaltensweisen, (Lippenlecken, Schütteln und Schwanzwedeln). Sie wedelten beispielsweise länger und schneller mit dem Schwanz, wenn der Besitzer länger weg gewesen war. Auch die Herzschlagrate war nach längerer Trennung in den ersten zwei Minuten des Wiedersehens erhöht. Der Grund dafür könnte aber die erhöhte körperliche Aktivität sein. Für Alexandra Horowitz deuten die Ergebnisse daraufhin, dass Hunde ein Zeitgefühl haben, dass sie eine kürzere und längere Abwesenheit des Besitzers unterscheiden und die Freude über seine Rückkehr mit ihrem Verhalten unterschiedlich stark ausdrücken.
Sehr interessant ist Alexandra Horowitz Theorie, worauf das Zeitgefühl von Hunden basieren könnte. Da Hunde Nasentiere sind, geht sie davon aus, dass das Zeitgefühl von Hunden auf ihrem Geruchssinn basiert: „Dogs are smelling time“. Der Geruchssinn ermöglicht es Hunden zum Beispiel auf Grund einer Fußspur die Richtung zu erkennen, in die eine Person vor Stunden gegangen ist. Sie riechen, dass der fünfte Fußtritt einen stärkeren Geruch hat und deshalb neuer ist und der erste Fußtritt einen schwächeren Geruch hat und deshalb älter ist. Daraus können sie ableiten, in welche Richtung die Person gegangen ist. Mit anderen Worten: Gerüche enthalten für Hunde auch Informationen über Zeit.
Aber wie können Hunde Geruchsinformationen zur Einschätzung von Zeit benutzen, wenn doch das Haus von Gerüchen erfüllt ist? Alexandra Horowitz glaubt, dass zwei Geruchshinweise ihnen dabei helfen: (1) Unser Geruch: Halten wir uns in der Wohnung auf, ist diese für den Hund von unserem Geruch erfüllt. Je länger wir aber weg sind, desto schwächer wird unser Geruch. Der Hund kann die Intensität des Geruchs benutzen, um einzuschätzen, wie lange wir schon weg sind. (2) Der Geruch des Tages: Im Tagesverlauf verändert sich der Geruch im Haus. Das Haus hat zu jeder Tageszeit einen anderen Geruch, an dem sich der Hund zeitlich orientieren kann. Tiere benutzen also keine Uhren, um festzustellen, wie spät es ist, aber sie können trotzdem mentale Zeitreisen unternehmen.
Quellen, Video:
http://www.youtube.com/watch?v=t5gvzmA3Eh4Studie:
http://www.appliedanimalbehaviour.com/…/S0168-1591…/abstract oder in der Dissertation von Therese Rehn:
http://pub.epsilon.slu.se/10793/